«Ziel ist, durch denselben Einsatz von Ressourcen am Schluss mehr vom «Rüebli» nutzen zu können»

Die Agrar- und Ernährungswirtschaft befasst sich mit Innovationen in der gesamten Lebensmittel-Wertschöpfungskette. Ziel bei allen Schritten von der Produktion bis zum Abfall ist es, die Effizienz zu steigern und nachhaltiger zu werden. Der Lebensmittelingenieur Dr. Peter Braun (siehe Box) erklärt im Interview, wo die Grenzen liegen und wie die Schweiz im Bereich Foodtech innovativer werden könnte.

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Peter Braun ist Co-Manager des NTN Innovation Booster Swiss Food Ecosystems und Manager des Vereins Swiss Food Research.

Was sind die aktuellen Trends im Bereich Foodtech?
Peter Braun: Die Agrar- und Ernährungswirtschaft entwickelt sich rasant. Daher ist es schwierig, von Trends zu sprechen. Wenn wir in unserer Branche über das Heute reden, sprechen wir bereits über die Vergangenheit, da schon das nächste Thema durchschimmert.

Der grösste übergeordnete Trend lässt sich wohl zusammenfassen unter «effiziente und ganzheitliche nachhaltige Ressourcennutzung». Ein grosses Thema dazu ist die Entwicklung pflanzenbasierter Produkte und die Suche nach proteinreichen Alternativen für Milch und Fleisch. Oder auch die Frage, wie sich Fleisch im Labor züchten lässt. Technologisch geht es bei der Fermentationstechnik und in der Biotechnologie ab, in diesem Bereich sind besonders viele Start-ups entstanden. Sie beschäftigen sich zum Beispiel mit der Frage, wie man Fett über Mikroorganismen herstellen kann oder Wertstoffe aus Mikroorganismen gewinnt. Bei vielem, was bisher auf der Basis von Pflanzen hergestellt wird, sucht die Industrie nach Wegen, es direkt im Reaktor herstellen zu können – statt wie bisher auf dem Feld.

Wichtige Forschungsgebiete sind auch Vertical- und Indoor-Farming, also der Anbau von Pflanzen in Gebäuden in mehreren Schichten übereinander oder das Nutzen von Gebäudefassaden. Da geht es darum, wie sich auf gleicher Fläche mehr produzieren lässt und Ressourcen effizient genutzt werden können.

Foodwaste ist natürlich auch ein grosses Thema. Hier zieht glücklicherweise auch der Bund mit: Kürzlich hat er seinen Aktionsplan vorgestellt – mit dem Ziel, die Lebensmittelverschwendung bis 2030 im Vergleich zu 2017 zu halbieren.

Den Begriff Foodtech mögen Sie nicht. Warum nicht?
Ja, das stimmt, ich habe grundsätzlich Mühe mit dem Begriff Foodtech, er greift mir zu kurz. Ich spreche lieber von Agrofood. Die Themen Agrar, Lebensmittel und Ernährung gehören zusammen, es geht um die gesamte Lebensmittel-Wertschöpfungskette. Denn schlussendlich landet das Essen beim Menschen. Viele Krankheiten wie Herz-Kreislaufschwäche, Diabetes etc. werden hauptsächlich der Ernährung zugeschrieben. In der Branche wird kontrovers diskutiert, wieviel Technologie in Lebensmitteln stecken darf. Studien zeigen, dass höhere Verarbeitungsgrade mit gewissen Symptomen für den Menschen einhergehen. Andererseits muss man gewisse Lebensmittel auch verarbeiten, damit man sie überhaupt essen kann. Hier gibt es noch viel Forschungsbedarf um zu verstehen, wie «Lebensmittel» auf den einzelnen Menschen wirken und wie die «beste Wirkung» erzielt werden kann – Stichwort «Personalized Nutrition».

Warum soll man Lebensmittel denn überhaupt verarbeiten?
Das Thema Verarbeitung ist sehr wichtig, damit Essen künftig mit weniger Energie und weniger Flächenbedarf, also nachhaltiger produziert werden kann. In der Agrar- und Lebensmittelindustrie schwingt bei allen Innovationen immer auch die Frage nach Energieeinsatz und Nachhaltigkeit mit. Nehmen wir zum Beispiel ein fiktives Rüebli. Bisher werden nur ca. 40-50 Prozent der Biomasse «Rüebli & Grün» verwertet, der Rest landet im «Abfall», zum Beispiel wegen Krankheitsbefall, Rüstabfällen oder weil das Grün nicht verwertet wird. Ein Ziel wäre es, durch entsprechende Verarbeitung künftig 80-95 Prozent aus dem gesamten Gemüse rausholen zu können. Das ist nachhaltiger – durch annähernd denselben Einsatz von Ressourcen, denselben Bedarf an Energie und Platz erhält man am Schluss viel mehr «Rüebli».

Was denken Sie, was und wie essen wir im Jahr 2050?
Ich wage mich nur ungern an eine Prognose. Aber grundsätzlich gilt: Der Geschmack und das, was wir essen, ist antrainiert. Wenn der Mensch auf die Welt kommt, kennt er kein Steak, keine Banane. Die Essgewohnheiten sind weltweit sehr unterschiedlich, für uns sind gewisse Dinge eklig, in anderen Ländern kann dasselbe eine Delikatesse sein. Wir Menschen sind extrem lernfähig und könnten unsere Gewohnheiten also gut ändern und uns eines Tages alle nur noch von Pülverchen ernähren.

Das wäre zwar eine grosse Effizienzsteigerung, doch der Mensch ist ein soziales Wesen. Deshalb wird die Nahrungsaufnahme wohl so bleiben, wie wir sie heute kennen: mit fester Nahrung und in Gesellschaft. Denn es geht nicht allein ums Essen, sondern auch um den Austausch mit anderen. Zudem sind wir mit Sinnen wie dem Geruchs- und Geschmackssinn ausgestattet, uns sind Genussmomente wichtig. Ich kann mir schlecht vorstellen, dass künftig jede und jeder sein Pülverchen mit Wasser runterspülen wird.

Ich bin mir aber sicher, dass wir weniger Fleisch essen werden. Es wird neue Lebensmittel geben, vermehrt aus dem pflanzlichen Bereich – und auch Fleisch aus dem Reaktor, wenn man es geschmacklich gut hinbringt. Der Anteil von nicht in der Natur gewachsenen/biotechnologisch hergestellter Lebensmittel wird erhöht sein. Es werden wohl mehr Lebensmittel indoor produziert werden, weil sich die klimatischen Verhältnisse weiter ändern. Klimaextreme sind nicht gut für Pflanzen und Tiere.

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Welches Land ist weltweit am innovativsten im Bereich Agrofood?
Von der Agilität her ist sicher die Niederlande im Bereich Agrofood führend. Dänemark gibt auch Gas. Auch Israel treibt den Bereich Agrotech stark voran. Israel ist ein Land mit grossem Autonomiebedarf: Es wird von aussen bedroht und erfährt massive Änderungen im näheren Umfeld. Es ist also wichtig, dass das Land autonom funktioniert und sich nicht zu verwundbar macht. Auch Singapur ist extrem agil im biotechnischen Bereich. Der Stadtstaat hat fast keine Agrarfläche, keine eigenen Wasserquellen und mehrere Millionen Einwohner. Trotzdem möchte Singapur den Selbstversorgungsgrad von 10 auf 30 Prozent erhöhen. Im Vergleich dazu: Die Schweiz hat einen Selbstversorgungsgrad von fast 60 Prozent.

Wo sehen Sie die Innovationskraft der Schweiz im Agrotech-Bereich?
Spitzenforschung, eine herausragende Infrastruktur und stabile Finanzen: Die Schweiz hat beste Voraussetzungen, um Entwicklungen voranzutreiben und neue Ansätze zu entwickeln. Doch das Land könnte mutiger vorangehen. Die Niederlande haben ähnlichen Strukturen wie die Schweiz: kaum Bodenschätze, eine begrenzte Fläche, eine gute Forschungsinfrastruktur und im Agrarwesen stark positioniert. Dennoch sind die Niederlande im Agrotech-Bereich einiges schneller unterwegs als die Schweiz. Die Gewächshaustomaten der Niederlande waren lange in Verruf. Heute setzt das nördliche Land auf Agrartechnologie: Es hat sich auf Setzlinge und Zucht spezialisiert und exportiert die Pflanzen und nicht die Endprodukte.

Solche Ansätze wären auch für die Schweiz praktikabel, indem wir mehr technologische Neuerungen entwickeln könnten, die im Inland anwendbar sind, aber auch für den Export taugen. Das könnten Lizenzen sein oder gleich die Maschinen selbst. Es täte uns gut, mehr von unserem Wissen in andere Länder zu exportieren. Ferner könnte die Schweiz als Modell für ein ganzheitlich nachhaltiges Agrar-, Lebensmittel- und Ernährungssystem im Sinne eines «One Health»-Ansatzes* dienen. Damit würde die Schweiz zugleich ihre Unabhängigkeit erhöhen.

Wie soll das Ihrer Meinung nach gehen?
Indem man in die Landwirtschaft mehr Diversität reinbringt und stärker in zirkulären Systemen zu denken beginnt – zum Beispiel könnte man auch das Futter für die Milch- und Fleischwirtschaft hierzulande herstellen. Wir müssen auch in unserem Land vermehrt Kreisläufe schliessen und Foodwaste verhindern. Die kurzen Distanzen und die soziale Kultur des Austausches und der Zusammenarbeit, die wir haben, bieten dafür die besten Voraussetzungen.

Die Schweiz hat mehr Möglichkeiten als ihre Nachbarländer, weil sie nicht Mitglied der EU ist. Sie hat viel mehr Freiheiten und könnte mutiger gewisse Dinge ausprobieren, gerade auch, weil wir einen hohen Qualitätsstandard haben. Es ist gewiss nicht sinnvoll, Wiederkäuer an Wiederkäuer zu verfüttern – Stichwort BSE –, aber man könnte Kreisläufe schliessen, indem man zum Beispiel Schlachtnebenprodukte oder Speisereste aus Restaurants als Futtermittel und somit wieder zur Nahrungsproduktion verwenden würde. Es gäbe viele Möglichkeiten zu zeigen, wie zirkuläre Systeme funktionieren könnten. Auch bei der Bewilligung von neuartigen Lebensmitteln (Novel Food) könnte die Schweiz eigene und dennoch sichere Wege gehen.

Die Schweiz gilt seit Jahren als innovativstes Land der Welt. Warum gehören wir beim Thema Agrotech denn nicht zu den Vorreitern?
Zuoberst auf dem Podest zu stehen ist gefährlich, denn man sieht niemanden über sich. Was man auf dem Spitzenplatz auch leicht übersieht, ist, dass andere von unten nachkommen. Als Spitzenreiterin die Dynamik aufzubringen, immer noch einen drauf zu legen, ist schwierig. Da setzt Innosuisse an mit ihren Programmen, um die verschiedenen Akteure zu ziehen und sie zu motivieren etwas zu tun. Mit dem Innovation Booster hat man einen ersten, wichtigen Schritt gemacht: Nun werden Ideen gefördert, die «transformativ» und «disruptiv» sein sollen und in multidisziplinären Teams entwickelt werden. Ziel ist es, daraus zukunftsweisende Projekte zu realisieren. Eine Neuerung des Innovation Boosters ist, dass auch Firmen Geld erhalten können.

Das ist für Sie aber nur ein Teil der Lösung. Was soll man denn Ihrer Meinung nach sonst noch tun?
Schweizer KMUs und Start-ups bräuchten zusätzliche Unterstützung. Denn es sind vor allem die Start-ups, die mit neuen Ansätzen kommen: Die junge Generation hat auch den grössten Druck, etwas für eine nachhaltigere Zukunft zu tun. Start-ups im Agrar- und Lebensmittelbereich brauchen mehr als einen Computer, sie brauchen Zugriff auf Analysen, Versuchsanlagen etc. und das kostet sehr viel Geld. Wir sollten es schaffen, dass diese Firmen finanziell zusätzlich unterstützt werden können – um ihre Ideen und Ansätze in den ersten ein bis zwei Jahren voranzutreiben mit eigenem Geist und Ideen, ohne die Einflussnahme von Dritten.

Eine solche Direktfinanzierung hilft auch, die Transformation voranzutreiben. Es sind sicherlich viele Ideen dabei, die nicht gleich funktionieren, aber auch viele, die den bisher beschrittenen Weg entscheidend weiterentwickeln. Oder gleich einen anderen Weg erlauben. Das ist ein Bottom-up-Ansatz, passend zur Schweiz.

Da greift Innosuisse nun ein – unter anderem mit dem Innovation Booster, ein erster mutiger Schritt. Es muss aber mehr möglich sein, das Innovationsökosystem der Schweiz muss weiterentwickelt werden. Deshalb sind wir dabei und diskutieren mit.

* Ein One-Health-Projekt schafft – durch einen sektorübergreifenden, transdisziplinären und kooperativen Ansatz – einen Mehrwert für die Gesundheit von Menschen, Tieren und Umwelt. Ein One-Health-Projekt wird sektorübergreifend, also unter Berücksichtigung sozialer und wirtschaftlicher Aspekte, geplant und durchgeführt, wobei die Bereiche Human-, Veterinär- und Umweltgesundheit einbezogen werden (Quelle: Wikipedia).

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Auf der Suche nach radikal neuen Lösungen

Die Agrar- und Ernährungsindustrie steht vor grossen gesellschaftlichen und ökologischen Herausforderungen, die von allen Beteiligten weitreichende Veränderungen verlangen. Es braucht einen kollaborativen Ansatz, der sektorenübergreifende Kompetenzen und verschiedene Akteure einbezieht. Der Innovation Booster Swiss Food Ecosystems geht die Herausforderungen der nächsten Generation von Lebensmittelökosystemen an. Konkret geht es um alternative, nichttierische Proteinquellen, Fermentation und Biokonvertierungen, dazu zählen die Nutzung von Mikroalgen und die Züchtung von Algen. Ein anderes wichtiges Thema sind Kunststoffe und die Entwicklung nachhaltiger Verpackungslösungen. Zudem beschäftigt sich der Innovation Booster mit Zell-Technologien, dazu zählt auch Fleisch aus dem Labor.

Das von Innosuisse initiierte Förderprogramm unterstützt die Akteure dabei, gemeinsame Probleme zu identifizieren und in interdisziplinären Teams radikal neue Lösungen zu entwickeln. Die besten Lösungsansätze erhalten bis zu CHF 25'000.

Dr. Peter Braun ist Co-Manager des Innovation Booster Swiss Food Ecosystems. Gleichzeitig leitet er den Verein Swiss Food Research, der die Networking Event Serie NES Swiss Food Research verantwortet. Peter Braun hat Lebensmittelverfahrenstechnik studiert und an der ETH promoviert.

Letzte Änderung 21.07.2022

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